Während laut der Kultusministerien der Länder in Deutschland aktuell mehr als 12.000 Lehrerstellen unbesetzt bleiben, geht der Deutsche Lehrerverband von einem weitaus höheren Defizit aus. Laut Prognose der Kultusministerkonferenz wird der Lehrermangel in den kommenden Jahren auch weiterhin bundesweit ein großes Problem bleiben.

Die ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) hat in seiner Stellungnahme am 27. Januar 2023 gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz (KMK) den Umgang mit dem aktuellen Lehrkräftemangel vorgestellt. Sie sind der Meinung, dass es auch künftig kaum möglich sein wird, überhaupt genügend Lehrkräfte auszubilden. Die SWK konzentriert sich in seiner Empfehlung einerseits darauf, das Potenzial der qualifizierten Lehrkräfte auszuschöpfen, indem Teilzeitarbeit nur befristet ermöglicht wird, Lehrkräfte aus dem Ruhestand eingesetzt werden, Und die Lehrer von Aufgaben jenseits des Unterrichts entlastet werden. Andererseits denkt der SWK, dass es möglich ist, den Lehrerbedarf zu senken. Hierfür sind bestimmte Bedingungen notwendig: Ausweitung des Hybridunterrichts, Selbstlernzeiten in höheren Klassenstufen und ein flexibler Umgang mit Klassengrößen. Dies sind Notmaßnahmen, welche nur zeitlich befristet möglich sind.

Wo ist der größte Lehrermangel in Deutschland?

Die Kultusministerien meldeten am 25. Januar 2023 genau 12.341 unbesetzte Stellen. Deren Angaben zufolge gäbe es im Saarland, Rheinland-Pfalz, Brandenburg und Bayern gar keine unbesetzten Stellen und Hessen sogar ein Überangebot an Lehrern. In Nordrhein-Westfalen fehlen dagegen 8.000 Lehrer, in Schleswig-Holstein über 200, in Sachsen-Anhalt über 800 und in Berlin ebenfalls mehr als 800 Lehrer. In Sachsen, Niedersachsen und Baden-Württemberg fehlen über 400 Lehrkräfte.

Dahingegen hält der Präsident des Deutschen Lehrerverbands die Zahlen für geschönt. Die Zahl der unbesetzten Lehrerstellen liegt in Deutschland eher bei 32.000 bis 40.000. So werden einfach Stunden am Anfang des Schuljahrs aus Lehrkräftemangel gestrichen, um den Bedarf auf dem Papier als gedeckt anzuzeigen. Auch werden in manchen Bundesländern, Eltern oder andere Nicht-Pädagogen als Schulhelfer eingesetzt, diese werden in der Statistik als Lehrkräfte verrechnet.

Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Situation laut der Vorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) deutlich verschärft, Stellen mit ausgebildeten Lehrkräften besetzen zu können. So ist das Zusammenstreichen von Förderangeboten, der Schulausfall zu Beginn des Schuljahrs, größere Lerngruppen und die Kürzung der Stundentafel bereits an der Tagesordnung.

Wie sind die Prognosen für den zukünftigen Lehrermangel?

Am 9. September 2021 veröffentlichte die Kultusministerkonferenz die Vorausberechnungen der Schülerzahlen für die nächsten Jahre bis 2035. Die Schülerzahlen sollen bis zum Jahr 2035 um knapp eine Million Schüler steigen. Gerade in den Stadtstaaten wird min einem erheblichen Anstieg um ca. 11,7 % an Schülern gerechnet. Gerade im Westen Deutschlands wird ein starker Anstieg der Schüler um 10,2 % erwartet. Dagegen könnte es in den ostdeutschen Bundesländern nach einem Anstieg bis Ende der 2020er Jahre einen leichten Rückgang der Schülerzahlen im Vergleich zu heute geben.

Natürlich sind in den Modellrechnungen keine geflüchteten Kinder aus der Ukraine enthalten. Hier müsste die Prognose des neuen Lehrkräftebedarfs korrigiert werden.

Für die hohe Zahl der benötigten Lehrer stehen nicht genügend Bewerber an den Universitäten zur Verfügung. Gerade in der Sekundarstufe I wird der Mangel größer als angenommen ausfallen, da hier das erwartete Angebot an Absolventen in Zukunft nicht ausreichen wird. Hier wird es im Jahr 2030 2.180 zu wenig Lehrkräfte geben, vorher wurde lediglich mit einem Defizit von 580 Lehrkräften gerechnet.

Die Prognosen sehen auch für berufliche Schulen kritisch aus. Bis 2035 kann hier der jährliche Einstellungsbedarf durchschnittlich nur zu 62,5 % gedeckt werden. Gerade in den sonderpädagogischen Lehrämtern ist die Situation besonders angespannt. Hier fehlen bundesweit von 2021 bis 2026 durchschnittlich fast 900 sonderpädagogische Lehrkräfte. AB 2027 wird sich die Situation voraussichtlich etwas entspannen, dann könnten voraussichtlich alle Stellen besetzt werden.

Lediglich in der Sekundarstufe II und für das Gymnasium wird es ein Überangebot an Lehramtsabsolventen in den kommen Jahren geben. Hier wird lediglich ein Defizit für die Jahre 2025/2026 durch die Umstellung von G8 auf G9 geben.

Die Kultusministerien der Länder beauftragen die Ständige Wissenschaftliche Kommission damit, Empfehlungen auszuarbeiten, wie diese Probleme zu lösen sind.

Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) kommt auf einen wesentlich höheren Lehrkräftebedarf als die Kultusministerkonferenz, nach dem VBE wird der Lehrkräftemangel bis 2035 um ein Vielfaches höher ausfallen als von der Kultusministerkonferenz prognostiziert. Nach dem VBE liegt der tatsächliche Mangel im Jahr 2035 bei 127.100 neu ausgebildeten Lehrern. Wird der Bedarf für die politischen Reformvorhaben wie Ganztagsschule, Inklusion und Unterstützung von Kindern in herausfordernden sozialen Lagen einbezogen, dann liegt der Lehrermangel im Jahr 2035 bei 158.700 Lehrkräften. Die Kultusministerkonferenz geht hingegen von einem Lehrkräftemangel von nur  23.800 Lehrkräften aus.

Noch ist ziemlich unklar, woher das Lehrpersonal kommen soll.

Hier sind die Zahlen der Prognose aufgelistet:

Differenz des Lehrereinstellungsbedarfs LE und Lehrerangebots LA im Jahr 2035

Schulart Differenz
LE & LA
Im Jahr 2035
Primarstufe 2.930
Sekundarstufe I - 420
Sekundarstufe II 2.450
Berufliche Schule - 1.470
Sonderpädagogik 510

In welchen Fächern fehlen die meisten Lehrer?

Besonders in den MINT-Fächern wie Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik fehlen besonders an den weiterführenden Schulen die Lehrkräfte. Ohne ein Gegensteuern werden die Schulen im Schuljahr 2030/31 nur ein Drittel der benötigten ausgebildeten MINT-Fachlehrkräfte zur Verfügung haben. Dies liegt auch daran, dass jede dritte MINT-Lehrkraft bis 2030/31 aus dem Schuldienst aus Altersgründen ausscheiden wird. Außerdem wachsen die Schülerzahlen sehr stark an. In den kommenden Jahren müssten ca. 3.300 neue MINT-Lehrkräfte eingestellt werden, dem gegenüberstehen aber nur voraussichtlich 1.100 Absolventen dieser Fächer an den Hochschulen.

Nur 17 der rund 1.200 Lehramtsabsolventen haben im Jahr 2020 in Rheinland-Pfalz das Fach Informatik belegt und nur 10 von Ihnen schlossen das zweite Staatsexamen ab.

Die Kultusministerkonferenz hat im Jahr 2021 Empfehlungen veröffentlicht, welche dazu beitragen sollen, das Bild der MINT-Fächer für Abiturienten zu verändern. Dadurch soll die Bewerberzahl an den Hochschulen für diese Fächer steigen.

Warum ist der Lehrerberuf so unattraktiv?

Die Gründe sind, wie immer, vielschichtig. Gerade Abiturienten haben nach 12 Jahren Schule ein genaues Bild vom Lehrerdasein und finden den Lehrerberuf oft nicht attraktiv. Ihnen fehlt hier die Flexibilität bei der Wahl des Arbeitsorts sowie die Flexibilität bei der Einteilung er Arbeitszeit. Auch Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten sehen sie im Lehrerberuf nicht, sondern eher den Ärger mit den Kollegen und überambitionierten Eltern. Für viele junge Menschen zählen auch noch nicht die klassischen Vorteile des Lehrerdaseins wie sicherer Job, gute Bezahlung und familienkompatible Arbeitszeiten.

Auch wenn die Zahl der Studienanfänger im Lehramtsstudium in den letzten Jahren anstieg, so sank doch die Zahl der Lehramtsabsolventen. Die Zahl derer, die das Studium abbrechen oder in ein anderes Fach wechseln, ist höher als die in anderen Studiengängen. So hat zum Beispiel die Uni Potsdam intern ermittelt, dass nur 50 Prozent der Studienanfänger bis zum Ende durchhalten. Besonders in den Mangelfächern Mathematik und Physik ist das Verhältnis sehr schlecht: Von den 42 Studienanfängern im Fach Mathematik im Jahr 2015 machten nur 9 einen Abschluss im Jahr 2021, von den 17 Physikanfängern nur 2.